• Impressum
  • Thomas Weißer (Laubach)

Theologische Ethik Bamberg

~ EthikBlog

Theologische Ethik Bamberg

Kategorien-Archiv: Ethik im Alltag

Aristoteles und »All is lost«

14 Dienstag Jan 2014

Posted by theoethik in Ethik im Alltag, Ethik und Kino, Grundfragen der Ethik

≈ Hinterlasse einen Kommentar

Schlagwörter

Aristoteles, Ethik, Schiffbruch, Tod

An diesem Film hätte der griechische Philosoph seine helle Freude gehabt. »All is lost«, ein Ein-Mann-Drama um einen erfahrenen Skipper in See- und Seelennot, ist auch ein Film über die Steuermannskunst. Die zieht wiederum Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik immer wieder heran. Die Steuermannkunst ist für ihn die Kunst, die sich einerseits der rechten Vernunft bedient, andererseits aber auch deutlich macht, dass ihre Kunst eben darin besteht, immer wieder neu auf sich wechselnde Anforderungen und Bedingungen einzugehen. Aristoteles schreibt:

Was aber dem Bereiche des sittlichen Handelns und des im Leben Nützlichen angehört, hat nichts an sich, was ein für alle mal feststände, so wenig als das Gesunde. Und wenn das schon für die allgemeinen Regeln gilt, so läßt das Einzelne und Konkrete noch weniger genaue und absolut gültige Vorschriften zu, da es unter keine Kunst und keine Lehrüberlieferung fällt. Hier muß vielmehr der Handelnde selbst wissen, was dem gegebenen Fall entspricht, wie dies auch in der Heilkunst und in der Steuermannskunst geschieht. (1104a)

In unnachahmlicher Weise lebt Redford als Segler ohne Namen genau das vor. In aller Ruhe, nur selten verzweifelt. aber dann wieder besonnen sucht er nach den besten Lösungen für jede Situation. Das Überleben ist ohne Pathos, sondern gründet in Überlegung und in vielen klugen und unscheinbaren Handlungen. Das einzige Problem: Irgendwann sind das Repertoire von Handlungen und Lösungsmöglichkeiten erschöpft – wie auch die Phantasie. Kein Schiff hat den Schiffbrüchigen entdeckt, niemand ist zu Hilfe gekommen. Der Sinn der Steuermannskunst läuft ins Leere. Alle Handgriffe, die dem Leben dienen könnten, sind ausgeschöpft. Am Schluss brennt die Rettungsinsel, der Segler versinkt in der Tiefe des Meeres.

2014-01-13 Blog Bild all is lostDie Steuermannskunst, das verschweigt Aristoteles, ist in besonderer Weise begrenzt, weil die das Meer, das Wetter, die Elemente als Bedingungen hat, die sie nicht beeinflussen kann und denen sie letztlich auch unterlegen bleibt. Sie ist in besonderer Weise schicksalsoffen.

Offen bleibt auch das Ende. Ist alles verloren? Leuchtet das Licht, das der Versinkende sieht, das Ende aus? Ist die Hand, die er ergreift, eine Hand des Todes? Oder ist es doch eine Neuschöpfung, die da aus Wasser geschieht: Die Hand eine Schöpfers vielleicht, die ihn da in ein neues Leben zieht? Da, ganz zum Schluss, verlässt der Film – wenn auch nur ganz kurz – die Steuermannskunst und öffnet sich noch größeren Fragen.

Advertisements

Gott ist nicht blöd

16 Dienstag Apr 2013

Posted by theoethik in Ethik im Alltag

≈ Hinterlasse einen Kommentar

Schlagwörter

Bibel, Ethik, Gott, Religion

»Gott ist nicht blöd.« Weiß auf schwarz steht dieser Satz auf einer Postkarte. Die Karte ist eine Werbung für ein Theaterstück. Und bei mir funktioniert die Werbung. Ich will wissen, was der Satz mit dem Stück zu tun hat.

gott-ist-nicht-blöd»Gott ist nicht blöd.« Blöd ist es, wenn ich mich dumm anstelle, einen Fehler mache, den ich leicht hätte vermeiden können. Blöd ist es, wenn ich mit dem Auto gegen den Pfosten fahre, den ich eben noch gesehen und dann beim Einparken einfach vergessen habe. Blöd ist es, wenn ich eine Bemerkung mache, die kränkt. Dabei wäre es doch so einfach gewesen, den Mund zu halten. Blöd ist es, wenn im Supermarkt an der Kasse steht und dann fällt mir ein: Das Portemonnaie liegt auf dem Küchentisch. „Ich bin doch nicht blöd,“ heißt auch: Ich bezahle doch nicht irgendwo mehr Geld, wenn ich einem anderen Laden das Ganze auch billiger bekomme.

Kann Gott sich überhaupt in diesem Sinne ‚blöd‘ anstellen? Es gibt einige biblische Geschichten, die das nahe legen. Da schafft Gott die Menschen. Und die haben nichts Besseres zu tun, als sich selbstständig zu machen, wie Adam und Eva, die sind aufeinander neidisch, wie Kain auf Abel, die gehen so schlimm miteinander um, dass Gott schließlich am liebsten wieder reinen Tisch machen würde. Seine Sintflut soll eigentlich alle Menschen vernichten, soll dieses Fehler der Schöpfung wieder rückgängig machen. Aber zum Glück findet Gott Noah und seine Familie. Die dürfen den ganzen Schlamassel überleben. Gott, könnte man sagen, war ganz schön blöd, Menschen zu schaffen.

Aber ist es da richtig, zu sagen, Gott ist blöd? Gott kann ich mit Eltern vergleichen, die ein Kind bekommen. Auch die sind ja eigentlich blöd. Kinder, das heißt Einschränkung: nachts oft raus, enge Terminplanung, Zoff bis in die Pubertät hinein. Aber Kinder sind auch wunderbar, lassen einen das Leben neu sehen.

Sich auf Menschen einlassen, das heißt, Risiken einzugehen. Das gilt für Gott wie für ein Paar, das ein Kind bekommt. Das halte ich nicht für blöd. Und so stimmt auch der Satz: Gott ist nicht blöd.

Die Moral des Nicht-Müssens

15 Donnerstag Nov 2012

Posted by theoethik in Ethik im Alltag, Grundfragen der Ethik

≈ Hinterlasse einen Kommentar

Schlagwörter

Ethik, Moral, Regel, Zwang zur Moral

Moral ist ein vermintes Gelände. Klingt nach Muff und Spießigkeit. Und nach all dem, was ich nicht will und nicht brauche. Umso mehr fällt auf, wie stark die Gesellschaft und das eigene Leben von Moral besetzt ist – auch wenn ich das gar nicht merke. Beispiel: Berufsleben. Regeln und Vorschriften, kurz: Normen, sind hier in einer Vielzahl anzutreffen, dass sie schon gar nicht mehr mit Moral zusammengebracht werden. Und doch gerade die Funktion der Moral in besonderer Weise deutlich machen: Ein Verhalten zu regeln, vorhersagbar und kalkulierbar zu machen.

In einem Interview mit Andreas Brunner, Trainer bei einem Callcenter-Dienstleister, im Magazin der »Süddeutschen Zeitung« zu finden, lässt sich Normalität und Problematik solcher Moral wie unter einem Mikroskop beobachten. Auf die Frage „Gibt es verbotene Wörter in Ihrem Job?“ antwortet Brunner:

Oh ja, in unserer Branche gibt es verbotene Vokabeln: »Nein« zum Beispiel oder »aber«. Wobei ich das für falsch halte. Ein »Ja, aber« ist aggressiv, dagegen ist ein »Nein, aber« ein wunderbares Kommunikationswerkzeug. Auch das Wort »Problem« ist verboten, genauso wie das Verb »müssen«. Das Verb »müssen« umgehen wir mit einem Trick: Man kann es gegen »einfach« austauschen. Das klappt immer: »Sie müssen da hinten parken!« wird dann zu »Parken Sie einfach da hinten!«

So einfach und so schwer ist das mit der Moral. Neben »sollen« ist «müssen« eines der Lemmata, die Moral anzeigen. »Müssen« ist mit Normativität aufgeladen. Weil das aber nur wenigen, vor allem in einem Gespräch am Telefon gefällt, wird dieses Wort substituiert. Der Regelcharakter wird kaschiert. Sprachlich verschwindet so die Moral, scheint durch einen Vorschlag ‚zur Güte‘ ersetzt zu werden.

Callcenter

Callcenter

Ein spannender Trick. Er gibt dem Anrufer die Chance, etwas als sein eigenes und freiwilliges Handeln zu verstehen, selbst wenn er letztlich doch dem vorgegebenen ‚Muss‘ des Anderen folgt.

So aber ist Moral gefährlich. Weil sie nicht mehr offen kommuniziert wird – und ihre Regeln sich so dem Diskurs entziehen. Aber offensichtlich reicht der Anschein der Selbstbestimmung schon aus, um Menschen zu besänftigen, selbst wenn sie sich dann doch dem Diktat der Moral beugen. Sittliche Kompetenz aber sieht anders aus. Sie klärt gerade über das Müssen auf – um dann Entscheidungen generieren zu können.

Der Zwang und der Tod

08 Donnerstag Nov 2012

Posted by theoethik in Ethik im Alltag, Ethik und Medizin, Grundfragen der Ethik

≈ Hinterlasse einen Kommentar

Schlagwörter

Glaube, Menschenwürde, Sterben, Tod, Zwang zur Moral

Krasser könnte der Gegensatz nicht sein. Innerhalb einer Woche lese ich:

  • Die Ärztin Annette Dieing plädiert für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Sterben,
  • der britische Historiker John Gray weist in seinem Buch »Wir werden sein wie Gott« kritisch auf die moderne Lifestyle-Industrie hin, die sich akribisch einer Todesverleugnung in den Dienst stellt,
  • und die erste niederländische Sterbehilfeklinik leistet jetzt auch mit mobilen Teams aktive Sterbehilfe in ganz Holland.
Wie sollen wir mit dem Tod umgehen?

Wie sollen wir mit dem Tod umgehen?

Drei verschiedene Konzepte, mit der radikalen Sterblichkeit und der Provokation durch die Endlichkeit umzugehen.

  • Dieing schlägt vor, aktiv auf Sterben und Tod zuzugehen. Die Hoffnung der Ärztin: So kommen Menschen mit der Endlichkeit besser zurecht. Gelassenheit heißt ihr großes und sympathisches Stichwort.
  • Gray hält hingegen alle menschliche Existenz für Willkür. Das Wissen um den Tod kann deshalb eine Vorfreude auslösen, weil er die Erlösung aus der Willkür menschlicher Existenz bedeutet. Ein nihilistischer oder doch eher ein realistischer Zugang?
  • Das niederländische Konzept der ambulanten Sterbehilfe schließlich steht für die Vorstellung, aktiv mit dem Tod umzugehen. Das Sterben ist hier der Akt der Selbstbestimmung, den der Mensch als letzten zu seinem eigenen machen kann.

Drei ganz verschiedene Zugänge – aber eine Gemeinsamkeit: Sterben und Tod sind kein Schicksal mehr, sondern müssen gestaltet werden. Die heimliche Normativität dieser Konzeption, das finde ich das eigentlich verblüffende, wird kaum thematisiert. Warum, so muss die ethische Frage lauten, muss ich eigentlich dem Tod aktiv entgegen gehen? Kann ich ihn nicht auch als Teil meines Lebens begreifen, als Entzogenes, das – todsicher – auf mich zukommt? Umgekehrt ist auch klar: Je mehr an der Grenze des Lebens möglich und legitimiert ist, technisch, medizinisch, sozial, desto mehr ist jeder einzelne gezwungen, sich zu positionieren. Dann ist auch das Zulassen des Sterben-müssens eine Position – aber auch sie muss gewählt werden. Das ist ganz konkret der „Zwang zur Moral“, vom dem Otfried Höffe spricht.

Evolution und Glaube

18 Donnerstag Okt 2012

Posted by theoethik in Ethik im Alltag, Grundfragen der Ethik

≈ Hinterlasse einen Kommentar

Schlagwörter

Bibel, Ethik, evolution, Moral, paul broun, Religion

„All das, was ich einmal gelernt habe über Evolution, Embryologie und die Urknalltheorie, sind Lügen direkt aus der Hölle“, zitiert die Süddeutsche Zeitung den republikanischen Abgeordneten Paul Broun. Und in einem mittlerweile gelöschten Video erklärt Broun, dass er sich bei seinen Entscheidungen im Abgeordnetenhaus nach der Bibel richtet. Denn, so die SZ, „sie lehrt uns, wie wir als Individuum, wie wir als Familien leben und wie wir unsere Kirchen führen sollen. Aber sie lehrt uns auch, wie wir Politik machen und überhaupt alles in der Gesellschaft gestalten sollen.“

Paul Broun, US-Abgeordneter, über Bibel und Moral

Paul Broun, US-Abgeordneter, über Bibel und Moral

Bibel und sittliches Handeln: Ein alter Streitfall. Doch der universalistische Anspruch, den Broun vorbringt, macht deutlich, woran seine Argumentation im Kern krankt. Die Bibel selbst gibt sich in ethischer Perspektive als heterogenes Produkt zu erkennen, dass eine Vielzahl widersprüchlicher Handlungsanweisungen, Moralen und Ethoi integriert, ohne die Unterschiede zu verwischen. Daran haben sich Theologen durch die Jahrhunderte hin abgearbeitet. Aber sie waren in der Regel nicht so naiv, zu glauben, diese Widersprüche ließen sich auflösen.

Heute müssen wir vielmehr erkennen, dass eine der zentralen Leistungen der Bibel ist, dass sie entsprechend der Uneindeutigkeit menschlichen Redens und Verstehens von Gottes auch eine Pluralität des Glaubens anerkennt.

Diese Pluralität spiegelt auch die plurale moralische Botschaft der Bibel wieder. Trotz „Du sollst nicht morden“ fordert Gott den Elija auf, die Propheten des Baal zu töten. Trotz des Gebotes, Mutter und Vater zu ehren, steht Gott auf der Seite Jakobs, der seinen Vater hinterlistig betrügt. Zwei Beispiel, die zeigen: Schon aus der Bibel heraus ist es unmöglich, eindeutige sittliche Regelungen zu extrahieren. Geschweige denn aus normtheoretischen Erwägungen.

Es liegt an uns, zu entschlüsseln, was dem Glauben entspricht und was nicht. Das aber ist Aufgabe der Vernunft.

Vernünftig

15 Samstag Sep 2012

Posted by theoethik in Ethik im Alltag, Ethik und Recht, Grundfragen der Ethik

≈ Hinterlasse einen Kommentar

Schlagwörter

Ethik, Moral, Regel, Vernunft

In der Nähe von Hamburg habe ich dieses Schild gefunden. Mehr Ethik im Alltag geht fast nicht: Der Satz ist nämlich nicht nur im Kontext von Moral und Recht angesiedelt, sondern spielt darüber hinaus mit der Moralität, der Fähigkeit des Subjekts zur ethischen Einsicht.

Vernünftige fahren hier ...

Vernünftige fahren hier …

Vordergründig spielt der Satz »Vernünftige fahren hier nicht mit dem Rad. Anderen ist es verboten.« auf das oftmals problematische Verhältnis von Fahrradfahrern, Fußgängern und Autofahrern an. Die einen reden von „Kampfradlern“ – gemeint sind Fahrradfahrer für die rote Ampeln, Fußgängerzonen, Bürgersteige und Einbahnstraßen nicht gelten. Die anderen regen sich oft genug über Fußgänger auf Radwegen oder brutale Autofahrer im Innenstadtverkehr auf. Wenn hier jeder seine Vernunft einsetzen würde, dann gäb’s keine Probleme – wie überall im Leben. Weil aber nicht jeder nur vernünftig ist oder sein will, dafür braucht es dann Regeln und Schilder.

Auf einer zweiten Ebene indes wird suggeriert, dass es eine Vernünftigkeit gibt, die aus sich heraus einsieht, dass bestimmte Handlungen nicht richtig sind. Zum Beispiel dort, wo das Schild steht, das Fahrradfahren. Das Problem, das viele andere Regeln kennzeichnet: Eindeutig ist der Anwendungsbereich von Normen nie. Unter Umständen kann es sogar vernünftig sein, gerade hier Fahrrad zu fahren. Um einen Dieb zu verfolgen oder im Notfall Hilfe zu holen. Die Vernunft, auf die das Schild hinweist, ist nur eine situative Vernunft, die wohl meistens zutrifft – aber eben nur meistens.

Das Problem mit der begrenzten Vernunft von Regeln zieht sich durch die Moralgeschichte. Aus den biblischen Texten wissen wir, dass etwa auch Jesus mit Regeln und deren Reichweite – Stichwort Sabbatgebot – konfrontiert ist. Insofern kann die Vernunft, auf die das Schild abzielt, immer nur eine Vernunft sein, die sich nicht von der Regelhaftigkeit unterjochen lässt. Die auf den rechten Gebrauch der Vernunft abzielt. Wäre das allen immer klar, dann bräuchte man aber solche Schilder gar nicht ……

Liebesschlösser

19 Dienstag Jun 2012

Posted by theoethik in Ethik im Alltag

≈ Hinterlasse einen Kommentar

Schlagwörter

Glaube, Liebe, Liebesschlösser, Moral

Kettenbrücke, Bamberg

Kettenbrücke, Bamberg

Seit einiger Zeit sind sie auch in Bamberg angekommen: Liebesschlösser. An der neuen Kettenbrücke hängen sie. Keine neue Erfindung. Je nach Lesart kommt der Brauch aus Italien oder Lettland. Die Idee: Liebespaare pilgern zu einer Brücke und bringen dort ein Vorhängeschloss an. Meistens gravieren sie vorher einen Liebesschwur ein: »In Liebe – Chris und Thomas« steht da. Oder: »Dennis und Maike. 12.07.«. Oder auch nur »A. und J.« – umrandet mit einem Herz. Auch in anderen deutschen Städten gibt es das. In Köln etwa hängen sie zu Tausenden an der Hohenzollernbrücke. Direkt unterhalb des gewaltigen Kölner Doms.

Zum Brauch gehört auch, dass der Schlüssel in den darunter fließenden Fluss geworfen wird. Die Bedeutung ist offenkundig: Die Liebe soll bleiben, sich nie mehr auflösen lassen.

Liebesschlösser an der Hohenzollernbrücke, Köln

Hohenzollernbrücke, Köln

Das Ethos der Hoffnung, dass aus den unzähligen Schlösser spricht, rührt an. Dass Beziehungen halten, ist alles anders als selbstverständlich. Trennungen sind an der Tagesordnung. Selbst Partnerschaften, die scheinbar unverwüstlich scheinen, gehen in die Brüche.

Die Schlösser dagegen erzählen vom Glauben an eine Liebe, die ewig hält, die alles überdauert. Und der Platz für diese Glaubenskundgabe ist gut gewählt. Auf Brücken sind alle unterwegs: Fußgänger und Radfahrer, Autos oder Züge. Brücken sind Transiträume. Und die Liebesschlösser behaupten gegen allen Durchgangsverkehr: Ihr könnt euch alle abhetzen und fahren, wohin ihr wollt – unsere Liebe bleibt. Und sie verbindet uns, so wie Brücken eben Ufer, Menschen und Landschaften verbinden.

Aus ethischer Perspektive ist der öffentliche Charakter der Liebesschlösser spannend. Liebe ist strukturell intim, privat. Die Liebesschlösser hingegen machen für jeden sichtbar, wer wen liebt. So wie traditionell auch öffentlich geschlossene Ehen sichtbarer Ausweis für eine Beziehung ist und war. Liebe braucht offenbar neben dem Privaten auch den öffentlichen Raum. Und sei es der Raum der Brücke.

Die Fußball-Religion

12 Dienstag Jun 2012

Posted by theoethik in Ethik im Alltag

≈ Hinterlasse einen Kommentar

Schlagwörter

EM 2012, Fußball, Glaube, Gott, Moral, Religion, Sport

Fußball fasziniert. Auch Theologen. Und so lassen sich die Auseinandersetzungen im Spannungsfeld von Rasensport und Religion kaum mehr überblicken. Wie das funktioniert?

Fußball und Glaube werden häufig parallelisiert. Von beiden könne man die Zuversicht lernen, heißt es. Beide zeichnen sich durch ihren Hoffnungsmodus aus, ihre »Transzendenz nach vorne« (Bloch). Oder ganz praktisch: hier wie dort gibt es ein Zeichensystem, indem ein geringwertiges Gut (Hostie, Ball) zum Symbol für die Welt wird, hier wie dort gibt es Heilige, hier wie dort Gläubige, die zur Messe (dem Spiel, dem Gottesdienst) pilgern und sich mit Devotionalien ausrüsten (Fanschals, Kreuze ….) und Gesänge anstimmen.

Fußball gucken wird als spirituelle Erfahrung gedeutet. Der Hype um Fußball wird als Alltagswelt begriffen, deren Sprache, deren Bilder und Metaphern auch den Glauben ins Wort bringen können.  „Turek, der Fußballgott“, das „Wunder von Bern“, „Klinsi, erlöse uns“, die Fußball-Sprache importiert religiöse Begriffe und Vorstellungswelten.

Schließlich dient der Fußball auch als Kontrastfolie für Religionserfahrung, als Denkanstoß, was Kirchen vom Fußball lernen können: Wie Sinnstiftung funktioniert, wie Feste inszeniert werden, wie Lebensstil und der Glaube (an die eigene Mannschaft, den Verein, die Nationalmannschaft) Hand in Hand gehen. Und nicht zuletzt, wie sehr der Fußballgott den christlichen Gott substiuiert hat.

Was mich daran irritiert: Nur selten wird thematisiert, was diese Auseinandersetzung für den christlichen Glauben selbst austrägt. Nur selten Konsequenzen gezogen. Heißt die Popularität des Fußballs nicht auch, dass es dem Glauben nur unzureichend gelingt, seine Botschaft vom Spiel des Lebens sagen und feiern zu können – von der Hoffnung und der Zuversicht, vom schmalen Grat zwischen Gelingen und Versagen, von der engen Nähe zwischen Ekstase und Trauer? Und was folgt daraus für jeden Glaubenden? Welcher Christ glaubt denn schon so heiß und innig, wie mancher Fan an seine Mannschaft?

Das Nachdenken über Fußball und Glaube führt schließlich auch zur Frage der Haltung von Gläubigen, ist eine Frage des Ethos.  Sie verweist auf mich zurück: Wie lebe ich meinen Glauben? Wie bringe ich meinen Glauben zur Sprache? Wie lebensbestimmend und –orientierend ist mein Glaube? Ist das vergleichbar mit der Art und Weise, wie ich über Fußball rede, mitfiebere, meine Termine richte? Der Fußball wird dann zu einer Größe, die neu über den Glauben nachdenken hilft.

Literatur und Links

  • Bieger, Eckhard: Die Fußball-Religion. http://www.kath.de/religionundfussball/die-fussball-religion.htm (12.06.2012)
  • Bromberger, Christian: Fußball als Weltsicht und Ritual. In: Belliger, Andrea / Krieger, David J. (Hg.): Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch, Opladen 1998, 285-301.
  • Hansen, Klaus: Gott ist rund und der Rasen heilig, in: RL. Zeitschrift für Religionsunterricht und Lebenskunde 33 (2004) 1, 3-8.
  • Merkt, Andreas (Hg.): Fußballgott. Elf Einwürfe, Köln 2006.
  • Noss, Peter (Hg.): fussball ver-rueckt. Gefühl, Vernunft und Religion im Fußball. Annäherungen an eine besondere Welt (Forum Religion und Sozialkultur B 15), Münster 2004.
  • Prosser, Michael: Fußballverzückung beim Stadionbesuch. Zum rituell-festiven Charakter von Fußballveranstaltungen in Deutschland. In: Herzog, Markwart (Hg.): Fußball als Kulturphänomen. Kunst, Kultur, Kommerz, Stuttgart 2002, 269-292.
  • Eine Sammlung mit Links zur Fußball-WM 2010 zum Themenkomplex Fußball und Theologie findet sich unter http://www.muenster.de/~angergun/fussballwm2010.html. Hinweise auch unter http://www.leisser.de/

Theologische Ethik bloggt

31 Donnerstag Mai 2012

Posted by theoethik in Ethik im Alltag

≈ Hinterlasse einen Kommentar

„Wie soll ich leben?“ „Wie kann mein Leben gelingen?“ Zwei selbstverständliche und zugleich anstrengende Fragen. Fragen, die in den Kern ethischer Reflexion führen. Sie sind selbstverständlich, weil jeder Mensch sein Leben gestalten muss. Und sie sind anstrengend. Weil sich gelingendes und sinnvolles Leben nicht einfach von selbst ergibt – meistens zumindest.

In meinem Blog stehen diese Fragen im Mittelpunkt. Ich sammle hier Fundstücke der Ethik im Alltag und stelle Sie vor. Viel Spaß damit.

Aktuelle Beiträge

  • Entschädigung – Wofür?
  • Hochzeit auf den ersten Blick
  • Godzilla 2014
  • Machbarkeit?!
  • Aristoteles und »All is lost«

Archive

  • Juli 2015
  • November 2014
  • Mai 2014
  • März 2014
  • Januar 2014
  • Mai 2013
  • April 2013
  • Januar 2013
  • November 2012
  • Oktober 2012
  • September 2012
  • August 2012
  • Juli 2012
  • Juni 2012
  • Mai 2012

Blogroll

  • Blog Alexander Filipovic
  • Forum Sozialethik
  • Netzwerk Medienethik
  • Theologische Ethik Uni Bamberg
  • Uni Bamberg

Kategorien

  • Ethik im Alltag
  • Ethik und Erinnerung
  • Ethik und Kino
  • Ethik und Medizin
  • Ethik und Recht
  • Gerechtigkeit
  • Grundfragen der Ethik
  • Literatur und Theologie
  • Medien und Ethik

Meta

  • Registrieren
  • Anmelden
  • Beitrags-Feed (RSS)
  • Kommentare als RSS
  • WordPress.com
Advertisements

Erstelle eine kostenlose Website oder Blog – auf WordPress.com.

Abbrechen